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Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie (RlA)

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Von „A, Gottheit des Wassers“ bis „Zypresse“

Götternamen, Haustiere, Fabelwesen oder Baustoffe: Die Wissenschaften vom Alten Orient schließen ihr ältestes, längstes Gemeinschaftsprojekt ab, das Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie (RlA). 1928 erschien der erste Faszikel, beginnend bei „A, Gottheit des Wassers“, 2018 wurde der letzte Faszikel veröffentlicht. Die 90-jährige Geschichte des Lexikons spiegelt auch die Entwicklung der Altorientalistik im 20. Jahrhundert generell wider.

Nachdem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die archäologischen Ausgrabungen im Vorderen Orient begonnen hatten und um 1850 die Keilschrift entziffert worden war, entwickelte sich die Wissenschaft vom Alten Orient in den folgenden Jahrzehnten rasant. Bereits in den 1920er Jahren war die Disziplin so umfangreich und verzweigt, dass sie unübersichtlich zu werden drohte.

Ursprüngliche Pläne …

Der Berliner Assyriologe Bruno Meissner griff daher 1922 den bereits länger gehegten Gedanken an ein „Reallexikon der Assyriologie“ wieder auf. Er fand in seinem Berliner Universitätskollegen Erich Ebeling einen begeisterten Mitherausgeber. Der ursprüngliche Plan der beiden Herausgeber bestand in der Publikation zweier Bände mit insgesamt etwa 1.600 Seiten, in denen die wichtigsten Stichwörter zum Gebiet des alten Mesopotamien behandelt werden sollten. Doch schon damals lief die wissenschaftliche Realität allen Plänen weit davon.

Bis 1938 waren zwar zwei Bände im Verlag Walter de Gruyter mit zusammen 974 Seiten publiziert worden – man hatte damit aber erst den Buchstaben E erreicht.

1939 brach der Zweite Weltkrieg aus, und weder zu jener Zeit noch in den ersten Nachkriegsjahren war daran zu denken, das Reallexikon fortzuführen. Auf den ersten Assyriologenkongressen wurde mehrfach eine Fortsetzung des Werkes diskutiert und schließlich auch beschlossen.

1953 begann die Arbeit, verschiedene Autoren erhielten einen Rundbrief des Verlags, der sie zur Mitarbeit aufforderte.

… und wissenschaftliche Realität

1957, fünf Jahre nach dem Beschluss zur Fortsetzung des Vorkriegswerks und 19 Jahre nach der Beendigung von Band 2, erschien dann tatsächlich der erste Faszikel des dritten Bandes, beginnend mit dem Buchstaben F. Das Titelblatt nennt nun Ernst Weidner aus Graz als Herausgeber, die Redaktion übernahm Margarete Falkner. Der Assyriologe Weidner war ein RlA-Autor der ersten Stunde gewesen: Bereits für den ersten, 1928 erschienenen Faszikel hatte er zahlreiche Artikel zu Sternen und assyrischen Königen verfasst. Er griff auch auf alte, aus der Vorkriegszeit stammende Manuskripte zurück, aber im Wesentlichen erweiterte er den Kreis der Autoren und internationalisierte ihn. Da sich zwischenzeitlich die vorderasiatische Archäologie als eigene Disziplin etabliert hatte, wurde der Titel des  Lexikons zu „Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie“ erweitert. Ernst Weidner gab von 1957 bis 1964 drei Faszikel mit zusammen 232 Seiten heraus, die bis zum Stichwort „Geschwulst“ reichten.

Umgestaltung der Herausgeberschaft

1961, also bereits drei Jahre, bevor der letzte Faszikel Weidners erschien, wurde der Altorientalist Wolfram von Soden in Münster Herausgeber. Er gestaltete die Herausgeberschaft um: Neben den Hauptherausgeber trat ein Gremium von Fachherausgebern, die für besondere Gebiete zuständig waren, im Einzelnen Rykle Borger, Peter Calmeyer, Dietz Otto Edzard, Adam Falkenstein, Anton Moortgat, Heinrich Otten, Wolfgang Röllig und Donald Wiseman.

1964, nach dem Tod von Margarete Falkner, übernahm Ruth Opificius in Münster die Redaktion. Von Soden gab bis 1971 sechs Faszikel mit zusammen 482 Seiten heraus und übergab 1970 die Herausgeberschaft an Dietz Otto Edzard.

1972 wurde die Hethitologin Gabriella Frantz- Szabó hauptamtliche Redakteurin. Vierzehn Jahre lang finanzierte die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Stelle, bis das Reallexikon 1986 ein Projekt der Bayerischen Akademie der Wissenschaften wurde. Ihr sei an dieser Stelle für die langjährige Förderung der tiefempfundene Dank ausgesprochen.

Von Wirtschaft bis Recht, von Tierkunde bis Literatur

Unter Edzards Herausgeberschaft erschienen von 1972 bis 2005 sieben Bände mit zusammen über 4.000 Seiten, die die Buchstaben H bis P umfassen. Im Durchschnitt entfielen auf jeden Buchstaben 500 Seiten, etwa doppelt so viele wie auf die Buchstaben A bis E – eine Folge der immer größeren Ausweitung der Altorientalistik. Inhaltlich entwickelte sich das Lexikon im Laufe der Jahrzehnte zu einem umfassenden Nachschlagewerk für sämtliche Realien sowohl des alten Mesopotamiens als auch Altanatoliens, Elams, Syriens und relevanter Gebiete der Levante sowie der vorderasiatischen Archäologie. 

Um dieser enormen fachlichen Breite gerecht werden zu können, wurden die Stichworteinträge von Fachgelehrten aus der gesamten Welt in wahlweise deutscher, englischer oder französischer Sprache verfasst. Neue Mitherausgeber wurden im Laufe der Zeit Einar von Schuler, Nicholas Postgate, Marten Stol, Gernot Wilhelm, Manfred Krebernik und Ursula Seidl.

2004 übernahm Michael P. Streck aus Leipzig die Herausgeberschaft des Reallexikons. Neuer Mitherausgeber wurde Daniele Morandi Bonacossi. Nach dem Wechsel von Gabriella Frantz- Szabó in die Mitherausgeberschaft sah die Redaktion in den letzten 13 Jahren zahlreiche wechselnde Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Titelblätter der Faszikel nennen Ursula Hellwag, Sabine Ecklin, Sabine Pfaffinger (später Heigl), Theresa Blaschke, Josephine Fechner, Mandy Greiner, Nathan Morello und Armando Bramanti.

Ab 2011 konnten dank der Bayerischen Akademie der Wissenschaften zeitweise zwei bis zweieinhalb Mitarbeiter gleichzeitig in der Redaktion beschäftigt werden. Die Bearbeitung der Manuskripte wurde vollständig auf eine digitale Arbeitsweise umgestellt, zumal auch die Autoren mehr und mehr Dateien und nicht mehr papierene Artikel einsandten – vergessen wir nicht, wie umständlich die redaktionelle Arbeit vor dem Computerzeitalter war. Seit 2004 wurden auf diese Weise viereinhalb Bände mit über 2.800 Seiten publiziert, die die Anfangsbuchstaben P bis Z umfassen.

Wissenschaftliche Ausdauer und Kooperation

Das nun abgeschlossene Reallexikon umfasst in 9.421 Artikeln Einträge zu antiken und modernen Ortsnamen, Religion, Wirtschaft, Recht, Wissenschaft, Literatur, historischen und fiktiven antiken Personen sowie verstorbenen Assyriologen, Hethitologen und Archäologen, zu materieller Kultur, Kunst, Pflanzen und Tieren, zu Fabelwesen und anderem mehr aus den Keilschriftkulturen des vorderasiatischen Kulturraumes. Das Werk ist zweifellos in vielerlei Hinsicht unvollkommen: Artikel fehlen, enthalten Fehler, sind zu lang oder zu kurz und sind durch Neufunde und Neuinterpretation überholt. Viele wünschen sich vielleicht eher oder auch eine digitale Enzyklopädie anstelle von bedrucktem Papier. Und dennoch: Das Reallexikon hat sich über die Jahrzehnte hinweg als nützliches Arbeitsmittel erwiesen, als ein Führer durch die immer noch rapide expandierenden Wissensgebiete des Alten Orients, die kein Forscher mehr im Detail zu überblicken vermag. Hier leistet das Lexikon gute Dienste. Darüber hinaus ist es ein wunderbarer Ausdruck wissenschaftlicher Ausdauer und fruchtbarer Kooperation in unseren Wissenschaftsdisziplinen.

Der Text dieser Seite ist dem folgenden Artikel entnommen:
Michael P. Streck: Von „A, Gottheit des Wassers“ bis „Zypresse“. Jahrhundertwerk abgeschlossen. In: Akademie Aktuell, Heft 1/2018